Ich habe den Text nach einem Besuch, eines im spanischen Bürgerkrieg
von deutschen Bombern zerstörten spanischen Dorf geschrieben.

Dieses Dorf mit all seinen Ruinen, hat eine Energie auf mich ausgestrahlt,
die ich in diesem Text reflektiert habe…

P.S.
Wer einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten


Ich wusste nicht ob mich der einsetzende Regen oder das Motorengeräusch der Flugzeuge aufweckte.

Ich war trotz der unbequemen Stellung eingeschlafen und meine Beine und der Rücken schmerzten.

Trotz der Strapazen der letzten Tage war ich sofort hellwach und mein Verstand begann präzise zu arbeiten.

In  meinem jungen  Alter  verfügte ich inzwischen über sehr viel Erfahrung und meine  Erlebnisse hatten einen Panzer aus Kälte um mich herum gebaut. In dessen Inneren ich sorglos lebte.
Was da draußen war, war draußen.
Innerlich war ich ein Junge,  distanziert und dennoch gnadenlos  fokussiert. Der Regen sorgte für eine leichte, erholsame  Abkühlung .
Schon fast reflexartig wischte ich mit einem Tuch über mein Zielfernrohr.
Das Brummen der Motoren, ein mir vertrautes Brummen konnte ich deutlicher wahrnehmen.
Mein Puls fuhr herunter und aus der Öffnung der Mauer konnte ich auf das Dorf blicken.
Die Feierlichkeiten zum Sankt Jordi Tag hatten es mir einfach gemacht mich unbemerkt unter die Menschen zu mischen und niemand hatte bemerkt das ich in den Turm der Kirche gegangen war.
Die immer enger werdende alte Steintreppe  und die Schwüle des Abends hatte den Aufstieg in den Glockenturm erschwert.
Ich war erfahren genug  das mein Gewehr trotz der Enge nicht an der Wand vorbeischarrte und die alten Gemäuer mich verraten würde.
Ich konnte die Ausgelassenheit der feiernden Menschen spüren und unter all der Musik und Stimmen, konnte ich dennoch immer deutlicher das Brummen der Maschinen hören.
Während ich fast wie in einem heiligen Ritual jede einzelne Kugel in mein Magazin lud, erfasste mich eine unendliche Ruhe.
Mit einem Auge hielt ich den Dorfplatz im Auge.
Wohlwissend das all die Menschen dort unten bald ein tödliches Inferno erleben würden.
Dorfbewohner, Frauen, Kinder, alte Männer, die einfach nur auf der falschen Seite der Geschichte standen und trotz der Wirren des Bürgerkrieges den St. Jordi Tag ausgelassen feierten.
Eine vergessen lassende Ausgelassenheit.

Ich persönlich hatte weder was mit den Menschen, noch mit dem Land zu tun. Ich war hier als Soldat. Spezialisiert auf meinen Auftrag.  „Leuchtturmwärter“ nannte man mich und die Bomberpiloten verließen sich darauf, dass  ich Ihnen im entscheidenden Moment ihr Ziel entblößte, vertrauend darauf, dass ihre Bomben meinen Kirchenturm verschonten. Heute weiß ich dass der Krieg zu diesem Zeitpunkt lange entschieden war und dass das Opfer das diese Menschen gleich bringen mussten unnötig war. Ein letztes Zeichen. Hätte ich es damals gewusst, wäre es mir dennoch egal gewesen. Ich hatte einen Auftrag und den erfüllte ich, emotionslos, unbeeindruckt. Ich fragte nie und überlegt nie.

Ich brachte mein Gewehr in Stellung und begann zu zählen von 1.000 an abwärts. Neben mir lag die Fackel und ein Feuerzeug. 999, ich atmete regelmäßig. 998, ich tränkte mein Halstuch mit meiner Wasserflasche 998 nahm einen kräftigen Schluck 997 und band das Tuch vor  mein Gesicht. 996….

 

Jeanne Carla war ein junge attraktive Frau und ihr schwarzes lange Haar wirbelte beim Tanzen. Sie genoss die Musik und das Tanzen und ihr Lachen konnte ich hören, wenn ich es auch nicht wahrnahm. Noch nicht. 870.. Die letzten Tage hatte sie wie alle junge Frauen damit verbracht aus den wenigen Stoffen ein Kleid zu nähen, wie alle Frauen im Dorf und von Tag zu Tag stieg die Anspannung und die Vorfreude. Es war ihr erstes St. Jordi das sie als nun junge Frau erlebte und es war anders als die Feste der letzten Jahre, die sie als Mädchen erlebt hatte.

Und während ich immer noch langsam abwärts zählend die Umgebung taxierte. Tanzte sie ausgelassen. Die Heiterkeit der Menschen berührte mich nicht, wie kleine Tautropfen benetzten sie meine Hülle aus Eis und gefroren. 443, ich nahm die Fackel in die Hand 440, ich steckte sie in ein Loch in einem Stein 398 und gleich würde ich das verräterische Feuer zünden. 371 für mich war das Brummen der Bomber jetzt deutlich zu hören, ich konnte ihre Gewalt fassen und es beruhigte mich noch mehr. Für die tanzenden MENSCHEN war es ein Teil der Musik, noch 268.

Jeanne Carla war inzwischen ins Freie getreten und genoss den leichten Abendwind 200, der Countdown beginnt. Als sie in den Abendhimmel blickte, konnte Sie den erleuchteten Kirchturm wahrnehmen und ihr schien es als ob sie ein Brummen wahrnahm. Ein Geräusch das nicht in diese Nacht gehörte und dennoch einen großen Teil dieser Nacht, ihres Lebens sein sollte.

 

Die erste Bombe schlug direkt auf dem Vorplatz ein und zersprang in tausend Feuerbälle.

Fasziniert beobachtete ich wie Bombe um Bombe die Häuser traf und selbst als der Glockenturm durch den Einschlag einer Bombe im Kirchenschiff erschütterte, verspürte ich keine Angst.

Ich war der Leuchtturmwärter und zeigte den Piloten ihr Ziel. Sie verstanden ihr Handwerk und die tödliche Präzision ließ uns die Menschen vergessen die in dem Flammeninferno schrien.

Ich blendete all das aus und legte mein Gewehr schussbereit in die Öffnung, durch das Zielfernrohr konnte ich den inzwischen hell erleuchtenden Platz beobachten und es war das erste Mal das ich Jeanne Carla in diesem Orkan wahrnahm.

 

In anderen Zeiten hätte Jean Carla vielleicht an diesem Tag einen jungen Mann kennengelernt, mit ihm getanzt, gelacht und sich leicht verschämt  verliebt mit dem ersten Kuss. Doch in diesem Dorf gab es schon lange keinen jungen Mann mehr und der einzige junge Mann war ich, in einem Glockenturm lauernd und statt Liebkosungen hatte ich ihr zerstörende Explosionen gebracht. Ich hatte ein Feuer entzündet, jedoch kein Feuer der Liebe.

 

Wenn ich dies jetzt alles schreibe, kann ich mich nicht mehr erinnern, was ich fühlte, ob ich überhaupt fühlte und das erfüllt mich mit Trauer, entsetzlicher Trauer, entsetzender Trauer.

Ich entsicherte meine Waffe und begann beruhigend zu atmen, meinen Puls zu kontrollieren.

Als mein Visier das Gesicht des Bürgermeisters  erfasste , hielt ich meinen Atmen an und schoss.

Ich konnte die Überraschung in seinen Augen sehen. Für einen Moment war ich mit ihm verbunden, er sank zu Boden und in diesem Augenblick erfasste ich Jeanne Carla. Und wenn es mir bis heute nicht erklärbar ist, erkannte ich deutlich ihre weit aufgerissenen Augen. Pupillen wie Seen. Mein Eispanzer vibrierte.

Kurz nachdem Jeanne Carla das Licht im Glockenturm wahrgenommen hatte konnte Sie am Horizont die zarten Umrisse der in Formation fliegenden Bomber erkennen. Unwissend der Wucht und Gewalt die sie bargen. Wie in einem gläsernen Cocon nahm sie das beginnende Inferno wahr und taumelnde

durch die schreiend umherirrenden Menschen. Sie war abgenabelt von dem Moment. Eine Beobachterin im Auge des Orkan. Sie spürte das Blut ihren Körper herunterrinnen, warm, weich. Mit einer Leichtigkeit irrte sie durch das Chaos. Angsterfüllt, nicht mehr atmend. In dem Moment als mein Schuss den Bürgermeister traf , blickte sie hinauf zum Turm und unsere Blicke trafen sich, Für einen ewigen Bruchteil, einen zusammenbrechenden Moment. Erschrocken blickte sie auf den sterbenden Mann, der vor einem Augenblick noch neben ihr stand und begann zu weinen. Es war nicht möglich und dennoch konnte ich genau hören wie sie langsam zu weinen begann. Ihre Tränen gefroren nicht an meinem Eispanzer, sie rannen langsam hinab….

 

Ich löschte die Fackel und hoffte, dass ihr Licht mich nicht verraten hatte und horchte in die Tiefe des Glockenturmes. Gleichmäßig atmend mein Gewehr zur Treppe hin gerichtet. Ich blendete alle Geräusche aus und meine Ohren starrten in eine dunkle Leere.

Keine Schritte, kein keuchender  Atem, der den Aufstieg verraten würde.

Als ich einen Moment aus dem Fenster blickte war der Platz leer.

Ich schreckte auf, ich war eingedöst, hatte mich in eine tiefe Entspannung gebracht, einen Zustand den man REM Phase nennt, wie ich heute weiß, erholsam  und dennoch voller größter Wachsamkeit.  Das Feuer war ein Teil des Dorfes geworden, als ob es schon immer hier war. Aus der Ferne hörte ich die Motoren der heimkehrenden Bomber, Mission erfüllt, feixende junge Männer die beim Bier von ihren Heldentaten berichten würden.

Nicht das mich das berührt oder gestört hätte, war es doch auch ein Teil meiner Gedanken, meiner Welt in meinem Eisberg.

Die aufgehende Sonne legte ihr Licht auf das zerbombte, ausgebrannte Dorf. Und rundherum besetzte eine Stille den Ort. Hatten die Schreie sterbender , gequälter Menschen noch diesen Raum erfüllt, so konnte ich jetzt die Ruhe spüren. Ein Blick auf meine Taschenuhr zeigte mir dass meine Mission bald beendet sein würde. Als ich den Deckel der Uhr schloss spiegelte sich die Sonne in ihm.

Ich hatte das Dorf lange genug beobachtet um sicher zu sein mein Versteck verlassen zu können und der Abstieg fiel mir leichter als der beschwerliche Aufstieg am Vorabend in der Abendschwüle. Selbst wenn  mich jetzt ein scharrendes Geräusch nicht mehr verraten könnte, achtete ich darauf dass mein Gewehr die Wand nicht berührte. Eine Gewohnheit. Mein Eispanzer war geschmolzen, nun brauchte ich ihn nicht mehr. Ich genoss die Morgensonne auf meiner Haut und zündete mir eine Zigarette an, während ich durch das zerstörte Dorf schlenderte. Es war fast wie ein Einkaufsbummel. Meine Augen beobachteten die Umgebung und ich erfasste die Stille des Augenblickes. Diesen Moment der Zufriedenheit. Ich fühlte mich geborgen und war dennoch bereit. Neben einem fasst unversehrten Haus setzte ich mich auf eine Steinbank und genoss den Schatten eines alten Baumes, der unpassend unversehrt geblieben war.

Ich zog ein letztes Mal an der Zigarette und sog den Rauch tief in meine Lunge, während ich den Qualm ausblies warf ich den Zigarettenstummel auf den Boden und zerdrückte sie mit meinem Kampstiefel.

 

Jeanne Carle erwachte und ein tiefer Schmerz umklammerte sie. Sie lag inmitten von Trümmern, bedeckt mit Geröll und Steinen. Ihre trockene Kehle quälte sie, sie versuchte aufzustehen doch es gelang ihr nicht. Und während sie versuchte sich an als das zu erinnern, was sie doch so verdrängen wollte, sah sie einen jungen Mann rauchend auf einer Steinbank sitzen. Es war ein deutscher Soldat.

Ich erhob mich von meiner Ruhestätte und ging in Richtung der Stelle an der gestern der Bürgermeister stand. Zur Erfüllung meiner Mission brauchte ich einen Nachweis, einen Beweis. Heute würde man ein Foto machen, mit seinem Handy, es auf Facebook stellen, ein mörderischer Selfie,  ich hatte ein Messer und einen Beutel.

Ich beugte mich über den Körper und zog mein Messer aus der Scheide. In diesem Augenblick sah ich Jeanne Carla.

Ihre tiefen Augen starrten deutlich aus ihrem verschmutzten Gesicht, ihr Körper war bedeckt mit Steinen und ein Balken lag auf ihren zertrümmerten Beinen. Es war keine Angst in ihren Augen als unsere Blicke sich trafen. Ich ging langsam auf sie zu. Mein Gewehr lies ich neben dem Leichnam des Bürgermeisters liegen. Ich konnte die Schwäche Ihrer Stimme hören, kann es heute noch, in aller Deutlichkeit.  Ein zartes leises Whispern. Mein Spanisch war nicht gut genug um mit ihr zu reden oder gar zu verstehen.  War ja auch  nicht mein Land und noch nicht mal mein Feind. Ich war einfach hier, um das zu tun was ich konnte und das war töten.

Ich nahm meine Feldflasche und goss etwas Wasser in meine Hand. Gierig sog sie die Feuchtigkeit auf und mit etwas Wasser strich ich ihr über das Gesicht.  Träufelte ihr etwas Kühlung auf ihre zarte Haut. In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort wäre ich auf sie aufmerksam geworden. Wir waren im gleichen Alter und vielleicht hätten wir geredet, getanzt und uns beim ersten zärtlichen  Kuss verliebt.

Nun es war nicht die Zeit und auch nicht der Ort, mein verräterisches Feuer hat sie getroffen und die Tropfen der Linderung aus meiner Wasserflasche änderten nichts daran.

In dem Moment als ich die Klarheit in ihren Augen erfasste, die tiefe ihrer dunklen Pupillen, bemerkte ich das mein Eispanzer weg war. Und dennoch hatte ich eine Abwesenheit in mir, eine beruhigende Distanz. Damals beruhigend, heute empfinde ich das anders.

Ihre Augen flehten mich an und ich beugte mich über sie um ihre Worte zu hören, wenn auch nicht zu verstehen und dennoch in einer Deutlichkeit zu spüren.

Ihre Heiserkeit wurde immer lauter und bewegter. Ihr Blick fiel auf meine Pistole und obwohl ich keines ihrer Worte übersetzen konnte, verstand ich was sie mir sagen wollte.

Ihre Augen öffneten sich weit auf und die Augenlieder rissen nach außen und bis heute glaube ich ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, als meine Kugel sie traf. Der Knall durchzog die Stille und hallte von den zerstörten Mauern zurück.  Ihr lebloser Körper entließ ihre Seele.

Noch heute höre ich, wenn auch kaum wahrnehmbar, deutlich ein Seufzen, von Ihr, und ich weiß nicht ob es die Zeit, meine Erinnerung oder mein geschmolzener Eispanzer ist.

Ich verzeih Dir, ich verzeih dir alles……


Der Text darf für private Zwecke unter Angabe der Quelle
(Dietmar Groß www.dietmargross.de) veröffentlicht werden.

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